Wie die Coronakrise Veränderungen im Freiwilligensektor ausgelöst hat | Karolina Kartus

Freiwilligenarbeit ist in der Regel mit direktem persönlichem Kontakt verbunden. 60- bis 69-Jährige, eine potentielle Risikogruppe, sind in Österreich am häufigsten freiwillig engagiert. 57% von ihnen haben sich im vorangegangenen Jahr mindestens einmal freiwillig gemeldet. Dem gegenüber stehen Menschen aus verschiedenen Risikogruppe, die jetzt mehr denn je Hilfe brauchen, um gesund zu bleiben. Die aktuellen Rahmenbedingungen sind herausfordernd, sie bietet aber auch eine Chance für den Freiwilligensektor sich zu verändern und mit den heutigen Trends Schritt zu halten.

Beeindruckende Solidarität

Trotz der Einschränkungen der Corona-Krise war das freiwillige Engagement in den ersten Monaten beeindruckend. Ein bekanntes Beispiel dafür war die #Nachbarschaftschallenge: Nachbarn boten Menschen aus Risikogruppen Hilfe an. Die Aktion startete in Wien und verbreitete sich viral. Der Zettel im Stiegenhaus oder die von Studenten geführte “Einkaufen gegen Corona” Initiative – alles geschah schnell und unkompliziert und tausende von Menschen engagierten sich oft zum ersten Mal freiwillig. Es stellt sich die Frage, was mit dieser Welle der Nachbarschaftssolidarität weiter passiert?

Endlich digital

Viele Organisationen haben sich immer noch nicht auf die Digitalisierung eingestellt und laufen Gefahr, abgehängt zu werden. Die letzten Entwicklungen haben aber den Übergang des dritten Sektors zur digitalen Welt in noch nie dagewesener Weise beschleunigt. Als Reaktion auf Einschränkungen, haben einige Non-Profit-Organisationen ihr Angebot angepasst und ihre Aktivitäten teilweise digitalisiert, z.B. online Lernhilfe, virtuelle Sprachcafés oder der Support von Digital-Marketing. Das ebnete den Weg zur Mikro-Freiwilligenarbeit (micro-volunteering), einem Trend, der bisher noch kaum in Österreich angekommen war. Die Mikro-Freiwilligenarbeit bedeutet, dass ein kleiner Teil der Freizeit für überschaubare Aufgaben, für deren Erledigung man oft nur einen Laptop oder Telefon benötigt, zur Verfügung gestellt wird. Die Tätigkeiten der Mikro-Freiwilligenarbeit sind schnell zu erledigen, einfach zu organisieren (keine Schulung erforderlich) und unkompliziert. Hinsetzen und loslegen!

Der Zweck vieler Organisationen, wie bspw. ein Obdachlosenheim, macht es oft unmöglich die Kerntätigkeiten zu digitalisieren. Gleichzeitig war es für viele sehr wichtig, ihre Aktivitäten zur Unterstützung der Bedürftigen fortzusetzen. Da sie bisher sehr oft auf ältere Freiwillige angewiesen waren, haben sie nach jüngeren Menschen gesucht, die während der Krise nicht einem höheren Risiko ausgesetzt waren, um die Freiwilligenarbeit zu übernehmen. Das Interesse war groß, so dass man vielerorts Vertretung finden konnte. Die Solidarität der jungen Freiwilligen, aber auch der durch die Krise ausgelöste Veränderungsdruck bei den Organisationen haben das ermöglicht und zu mehr Flexibilität im Freiwilligensektor geführt.

Wie geht es weiter?

Jetzt ist es an der Zeit, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die während der Krise aktiviert wurden, weiterhin ehrenamtlich tätig bleiben. Es stellt sich die Frage, warum sie sich nicht schon früher freiwillig engagiert haben. Freiwilligenarbeit soll das Gefühl geben, dass man gebraucht wird. Ich glaube, das ist ein entscheidender Faktor, um das Engagement & Solidarität auf dem bisherigen Niveau zu halten. Es ist auch wichtig, die neuen Formen des Engagements beizubehalten. Dazu werden Online-Tools benötigt, die Freiwillige und Organisationen unterstützen – um die freiwilligen Tätigkeiten schnell zu finden und arrangieren, mühelos miteinander zu kommunizieren und Freiwillige zu managen. Laut dem Freiwilligenbericht 2019 sind mehr als 50% der Freiwilligen der Meinung, dass noch mehr als bisher über die Engagementmöglichkeiten informiert werden sollte – stärkere Online-Präsenz ist ein Muss.

Angesichts der heutigen Erfahrung stelle ich mir die Frage: Können wir Freiwilligenarbeit weniger formell gestalten, ohne die Qualität zu beeinträchtigen?

 

 

Autor*in: Karoline Kartus | Co-Founder & Partnerships Social Held

Karolina Kartus ist eine der beiden Gründerinnen von Social Held. Nach Stationen als Business Analystin und Associate Marketing Managerin, setzt Sie sich seit 2019 mit der Plattform dafür ein, freiwilliges Engagement in Österreich zu fördern.

 

Meinungen und Erfahrungen unserer Kontributor*innen sind ihre eigenen.